01.04.2020 - Auf die Vorschlagsliste für das bundesweite Verzeichnis der Immateriellen Kulturerben der UNESCO Deutschland geschafft, hat es jetzt der Antrag „Die Techniken des Tabakanbaus und Zigarrenverarbeitung am Oberrhein als jahrhundertelange Prägung von Agrar-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie von Kultur, Mentalität, Brauchtum und Architektur“. In einer länderübergreifenden Kooperation waren damit die fünf Kommunen Hatzenbühl (Rheinlandpfalz, Schwetzingen, Hockenheim, Heddesheim (Baden-Württemberg) und Lorsch (Hessen)aus den drei Landkreisen Bergstraße, Germersheim und dem Rhein-Neckar-Kreis erfolgreich. Nun geht es darum, dass ein unabhängiges Expertenkomitee der deutschen UNESCO Kommission der Kultusministerkonferenz und den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien dieses Thema zur Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis der Immateriellen Kulturerben empfehlen wird.
Prägende
Kultur in vielerlei Hinsicht
„Tabakanbau hat
das Gesicht unserer Region und vieler Ortschaften geprägt. In Hatzenbühl, im
Landkreis Germersheim, wurde erstmals für Deutschland Tabakanbau nachgewiesen“,
begründet Landrat Dr. Fritz Brechtel das Engagement seines Landkreises.
Unterstützt wird diese Einschätzung von Stefan Dallinger, Landrat des
Rhein-Neckar-Kreises, der darauf hinweist:
„Tabakfelder, Tabakschuppen und Zigarrenfabriken sind auch in vielen
Kommunen im Rhein-Neckar-Kreis ortsbildprägend. Diese Kultur ist bis heute
lebendig im Zusammenleben der hiesigen Menschen – ein Erbe, das es zu bewahren
gilt.“ Christian Engelhardt, Landrat im Kreis Bergstraße, verweist auf die
wirtschaftliche Bedeutung des Tabaks: „Der
Tabakanbau hat die wirtschaftliche Entwicklung unserer Region maßgeblich
mitgeprägt und Lorsch sowie dem restlichen Landkreis über die Jahrhunderte
hinweg wachsenden Wohlstand gebracht.“
Kreative Weitergabe gefordert
Aus der Bergstraßen-Kommune Lorsch kam auch die Initiative zum
UNESCO-Antrag, der in enger Absprache mit den beteiligten Kommunen
ausgearbeitet wurde. Jede der fünf Gemeinden hat wichtige historische Bezüge zu
dem Tabakthema. Doch die Antragstellung machte darüber hinaus eine
„nachweisbare Lebendigkeit sowie kreative Weitergaben und Weiterentwicklung der
Kulturform durch die Trägergemeinschaft“ zur Bedingung, was der
Oberbürgermeister von Schwetzingen, Dr. René Pöltl, ausdrücklich bestätigt:
„Die grundlegend prägenden Spuren des Tabakanbaus sind noch heute sichtbar und
in unserer Stadt, wie in den anderen Kommunen, bei den Menschen sehr präsent.“
Vitale Kultur in allen Kommunen
Aufzuzählen sind etwa Museen, Stadtfeste, Ausstellungen, Lesungen, in
Hatzenbühl ein Tabakrundweg, ein Tabak-Orchester und eine Tabakkönigin, in
Lorsch mit dem Tabakprojekt eine Bürgerinitiative, die Tabak anbaut und die
Fühler bis Kuba ausstreckt, Workshops, eine regionale Zigarre, Brunnen, Plätze,
unzählige architektonische Zeugnisse mit Tabakbezug, Sammlungen, Führungen usw.
Das Spektrum der Angebote und Aktionen rund um den Tabak macht immer wieder
klar, dass „der Tabak die Initialzündung für unsere Stadtentwicklung bis heute
war“, wie es der Hockenheimer Oberbürgermeister Marcus Zeitler ausdrückt. Der
Ortsbürgermeister von Hatzenbühl, Karlheinz Henigin, versteht die Aufnahme in
die Vorschlagsliste als Ansporn dazu, diese Entwicklung im Sinne der UNESCO
fortzusetzen: „Die
Nennung als Kulturelles Erbe wird unsere Aktivitäten verstärken, den Tabakanbau
auch für kommende Generationen erlebbar zu machen.“
Tabak – die etwas andere Sichtweise
„Entgegen dem allgemeinen Trend suchen wir mit dieser Antragstellung das
Kulturerbe Tabakanbau und -verarbeitung als Hommage an eine wirtschaftlich und
kulturell grundlegend prägende Tradition unserer Region zu würdigen und zu
sichern“, reagiert der Lorscher Bürgermeister Christian Schönung auf die Kritik
derer, die Tabak auf das Rauchen reduzieren. Das sieht auch Michael Kessler,
Bürgermeister von Heddesheim, der einst größten Tabakanbaugemeinde
Deutschlands, so und ergänzt: „Die Initiative Lorschs ist ein tolles Beispiel
für die regionale Zusammenarbeit in der Metropolregion Rhein-Neckar.
Internationale Pläne
Dabei ist Tabak ein Thema, das über lokale oder regionale Bezüge hinaus
internationales Profil und Potenz hat. „Deshalb sehen wir unseren Antrag als
einen Anfang der weitere Orte und Länder einschließen soll“, so Gabi Dewald vom
Lorscher Kulturamt. „Ganz im Sinne der UNESCO, die den Gedanken des Friedens
und damit der völkerverbindenden Gemeinsamkeiten befördert sehen will.“
Voraussetzung für eine internationale Antragsstellung jedoch, etwa gemeinsam
mit zwei weiteren Nationen, ist zunächst die Anerkennung auf nationaler Ebene.
Dies wird bis zum Frühjahr 2021 entschieden sein. „Wir drücken uns selbst
weiter die Daumen“, hoffen die Initiatoren und warten nun zunächst auf das
positive Votum der Deutschen UNESCO-Kommission.
Informationen:
- Was ist ein Immaterielles Kulturerbe? „Immaterielle Kulturerben sind kulturelle Ausdrucksformen, die von menschlichem Wissen und Können getragen und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Gemeinschaften prägen diese lebendigen Traditionen und entwickeln sie kreativ weiter.“ (Deutsche UNESCO Kommission)
- Deutschland ist dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes 2013 beigetreten. Unter der Überschrift „Wissen. Können. Weitergeben“ ist es Ziel der UNESCO, damit „die Vielfalt des lebendigen Kulturerbes in Deutschland und weltweit zu erhalten, zu pflegen und zu fördern“.
- Die ersten Eintragungen für Deutschland fanden 2016 statt. Bis heute wurden 97 lebendige Kulturformen und Modellprogramme in das deutsche Verzeichnis aufgenommen. Die jetzt erfolgte ist die 4. Bewerbungsrunde. Das Verfahren findet alle zwei Jahre statt.
- Weltweit
wurden seit 2008 bislang 549 Einträge
aus insgesamt 127 Ländern der Erde vorgenommen. Davon stammen vier aus
Deutschland (Genossenschaftsidee, Orgelbau und Orgelmusik, Falknerei, Blaudruck).